Wie lässt sich Closed-Loop-Recycling realisieren, wie lassen sich aus rückgebautem EPS neue Produkte gewinnen, welcher Weg ist am nachhaltigsten? Das sind die Kernfragen, über die Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft auf dem 2. Expertenforum des Forums für sicheres Dämmen mit EPS (FSDE) diskutierten.
Ob Fußboden, Flachdach oder Fassade: Für Ulrich Meier, Geschäftsführer Technik im Industrieverband Hartschaum e.V. (IVH) liegt ein wichtiger Vorteil von expandiertem Polystyrol (EPS) darin, dass es fast überall eingesetzt werden kann. Doch gewinnen in Zeiten der Klimabewegung um "Fridays for Future" auch andere Kriterien an Bedeutung: "Die Kreislaufwirtschaft [engl. Circular Economy] wird immer wichtiger", sagt der gelernte Maurer und Bauingenieur Meier, bei dem das Thema allerdings schon länger auf der Agenda steht. Der gesamte Lebenszyklus eines Produktes von der Beschaffung der Grundstoffe über die Herstellung, die Nutzung bis hin zum Recycling fließt dafür in eine ganzheitliche Betrachtung ein. Bereits vor mehr als zehn Jahren hat Meier die erste Produktdeklaration für EPS beim Institut für Bauen und Umwelt (IBU) für den IVH mit auf den Weg gebracht. Heute gibt es auch über EPS hinaus kaum einen Dämmstoff mehr, der keine Produktdeklaration vorweisen kann, in der die wichtigsten Kennwerte für die Umweltverträglichkeit eines Baustoffs zu finden sind. Sie bilden die Grundlage etwa für die Ökobilanz von Gebäuden.
Zunächst bieten nachwachsende Rohstoffe als Dämmmaterial nach Ansicht von Philipp Sommer Vorteile: "Der Energieeinsatz in der Produktion ist gering, zudem speichern sie CO2", erläutert der stellvertretende Bereichsleiter Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH). EPS hat andere Stärken, etwa die Langlebigkeit des Produktes, das geringe Gewicht und die Vielseitigkeit, um nur einige zu nennen. "EPS ist als Dämmstoff aktuell nicht in allen Anwendungen substituierbar", gibt Sommer zu, der sich deswegen genau anschaut, welche Möglichkeiten es gibt, das Produkt zu verbessern.
Eine Herausforderung besteht etwa im Recycling. Ein "Closed-Loop-Recycling" beispielsweise wäre besser als die derzeitige Verbrennung oder auch das "Down-Cycling", das dadurch gekennzeichnet ist, dass minderwertigere Produkte aus Abfällen hergestellt werden. Würde es also gelingen, diesen letzten Schritt zu optimieren, wäre der Kreislauf geschlossen – und die negative Umweltwirkung deutlich geringer, dass Sommer gar von einem "vergleichsweise umweltfreundlichen Produkt" sprechen würde, dessen Umweltbilanz "mindestens gleichauf" mit nachwachsenden Rohstoffen anzusehen sei. Die Frage nach der Notwendigkeit von Gebäudedämmung ist für Sommer unumstritten: Unabhängig vom Produkt "überwiegen eindeutig die positiven Aspekte."
An diesem letzten Schritt in der Kreislaufwirtschaft von EPS arbeitet unter anderem Jan Noordegraaf, Mitglied im Vorstand der niederländischen Kautschuk- und Kunststoffindustrie (NRK). Als Director Polystyrene Loop (kurz: PS-Loop) setzt er auf das so genannte CreaSolv®-Verfahren, das das Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV) schon vor Jahren entwickelt hat, das bisher aber aus wirtschaftlichen Gründen nicht zum großflächigen Einsatz kam. Mithilfe von speziellen gesundheitlich unbedenklichen Lösungsmitteln ist es möglich, das bis 2015 oft mit dem Flammschutzmittel Hexabromcyclododecan (HBCD) versehene EPS in seine chemischen Einzelkomponenten zu zerlegen. Das wiedergewonnene Polystyrol kann zum erneuten Aufschäumen von EPS-Platten verwendet, das HBCD zerstört und Brom rückgewonnen werden.
Die erste Anlage im niederländischen Terneuzen ist bereits konzipiert. 3.000 Tonnen rückgebautes EPS sollen hier ab 2020 Jahr für Jahr verarbeitet werden. Noordegraaf nennt es das "kleinstmögliche rentable Projekt". Ist es erfolgreich, sollen innerhalb der nächsten fünf Jahre größere Werke mit einer Kapazität von 10.000 bis 20.000 Tonnen pro Jahr folgen, in Deutschland und Polen. Den EPS-Rohstoffherstellern will er – wenn es soweit ist – sowohl eine Preis- wie auch eine Mengengarantie über fünf Jahre geben. DUH-Experte Sommer sieht die Entwicklungen positiv: "Bei der energetische Verwertung ist nicht nur die Frage der Schadstoffemissionen entscheidend, sondern ebenso, dass das aufwändig erzeugte Material bei der Verbrennung zerstört und lediglich ein Teil der für die Herstellung der Produkte aufgewendeten Energie zurückgewonnen wird. Beim werkstofflichen Recycling über PS-Loop hingegen bleibt das Material erhalten und damit die im Material gebundene wie auch die für die Kunststoffsynthese eingesetzte Energie – ein Vorteil, den andere chemische Verwertungsverfahren nicht unbedingt bieten." Den Grund dafür liefert Noordegraaf: "Bei unserem werkstofflichen Recycling bleiben die Molekülketten unbeschädigt, so dass keine Energie verloren geht."
Auch Dr. Eike Messow vom WDVS-Hersteller Sto ist "froh, dass es den PS-Loop-Weg für die Industrie geben wird". Allerdings gibt er zu bedenken, dass die Rückgewinnung von EPS aus Wärmedämmverbundsystemen (WDVS) in Deutschland derzeit "eher noch ein Forschungsthema" ist. "Trenn- und Sortierverfahren sowie die Logistik können schnell unwirtschaftlich werden", meint Messow, der bei Sto für die Nachhaltigkeit zuständig ist. Je nachdem, wie diese Prozesse letztlich aussehen, möchte er nicht ausschließen, dass der Fassadenrückbau aus Recycling-Gründen künftig teurer werden könnte. Aufbereitungszentren wird zudem wohl eine Schlüsselrolle zukommen, in denen etwa das für die niederländische Anlage relevante HBCD-haltige EPS für den Weitertransport nach Terneuzen vorbereitet wird.
Auch die Vorstandssprecherin des Instituts für Infrastruktur, Wasser, Ressourcen und Umwelt (IWARU) an der Fachhochschule Münster Prof. Sabine Flamme sieht wie Messow den dringenden Bedarf, einen Zwischenschritt zwischen der Baustelle und der PS-Loop-Anlage einzulegen. Dessen Zweck besteht darin, die EPS-Mengen zu bündeln und so aufzubereiten, dass möglichst wenig "Fremdstoffe" ins Recycling gehen. Zurzeit sehen die Vorgaben von PS-Loop ein EPS-Material mit einem Anteil von weniger als zehn Prozent an Fremdstoffen vor. "EPS ist ein sehr elastischer Dämmstoff und lässt sich deshalb gut von Mörtel, Putz und Armierungsgewebe befreien", meint Flamme, die die Quote von zehn Prozent deshalb auch durchaus für machbar hält. Die Frage ist allerdings, wie heute mit dem rückgebauten EPS umgegangen werden sollte. "Einerseits sind die Müllverbrennungsanlagen nicht nur ausgelastet, sondern auch wenig an hochkalorischen Materialien wie EPS interessiert. Andererseits hat PS-Loop noch nicht die nötigen Kapazitäten", sagt FSDE-Beirätin Flamme. Und in den kommenden Jahren nehmen die rückgebauten EPS-Mengen laut einer Studie des Marktforschers Conversio stark zu, von derzeit 32.000 Tonnen EPS auf etwa 85.000 Tonnen im Jahr 2050.
Nicht zuletzt aufgrund der derzeitigen Situation sei "das stoffliche Recycling" potenziell eine gute Ergänzung, so Flamme. Verschnitt auf Baustellen und Produktionsreste werden dabei zunächst auf Korngröße zerkleinert und später zu sogenannten Rezyklatplatten verarbeitet. Der Kreislaufwirtschaftsexperte Sommer der DUH hält diese Methode sogar aus ökologischer Perspektive für "noch besser" als chemisches Recycling, merkt zugleich aber an: "Zugebrachte Additive bleiben im Material enthalten". Während HBCD seit 2016 nicht mehr verwendet werden darf, ist EPS mit dem heute üblicherweise eingesetzten Flammschutzmittel Polymer-FR unbedenklich. Um auszuschließen, dass es sich bei dem verwendeten EPS um HBCD-haltige Baustoffe handelt, rät IVH-Technikgeschäftsführer Meier zunächst dazu, nachzuschauen, wann es installiert worden ist. "Bei EPS, das nach 2015 verbaut wurde, ist ohnehin klar, dass es kein HBCD enthält. Oft weisen zudem Gütezeichen wie das BFA-Siegel der EPS-Industrie auf den Produkten darauf hin, wann sie qualifiziert und deklariert wurden", so Meier. Die eigentliche Herausforderung besteht allerdings bei Produkten, die in der Übergangszeit von 2014 bis Ende 2015 verbaut wurden. "Hier hilft eine kleine Materialanalyse, um herauszufinden, ob HBCD-haltiges EPS verwendet wurde", rät Sto-Experte Messow.
Das Beispiel der Rezyklatplatten zeigt, dass es oft die kleinen Hürden sind, die noch bewältigt werden müssen. Auch Jan Noordegraaf von PS-Loop dürfte das Thema kennen. Denn ursprünglich sollte das Werk in Terneuzen schon in 2019 an den Start gehen. Die behördlichen Prozesse haben allerdings länger gedauert als erwartet. FSDE-Beirätin Flamme ist dennoch zufrieden mit den aktuellen Entwicklungen: "Viele haben die Kreislaufwirtschaft inzwischen auf dem Schirm und arbeiten nun an konkreten einzelnen Schritten. Ganz wichtig ist allerdings, dass wir für weitere Forschungstätigkeiten an die rückgebauten Mengen von EPS kommen – zudem darf auch das Recycling der mineralischen Fraktion nicht aus den Augen verloren werden."
EPS wird, wie die meisten klassischen Kunststoffe, aus Erdöl hergestellt. Und damit aus Kohlenstoff. Doch aus Kohlenstoffverbindungen besteht alles Organische, Pflanzen wie Tiere. Damit bietet jede Art von Pflanze oder Nahrungsmittel grundsätzlich die Möglichkeit, Basis für Kunststoffe oder speziell für Dämmstoffe zu sein. "Es ist wichtig, vom Erdöl wegzukommen. Zumal CO2 in Pflanzenölen über lange Zeit gespeichert wird und damit einen mildernden Effekt auf den Klimawandel hat", erläutert DUH-Experte Philipp Sommer. Doch gibt er zu bedenken: "Die Gesamtumweltbilanz ist bei biobasierten Polymeren nicht unbedingt besser, wenn man Faktoren wie die Eutrophierung (*Überangebot an den Nährstoffen Stickstoff und Phosphor in Gewässern), die Flächennutzung sowie den Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln mit einbezieht." Aus Umweltaspekten wäre es deswegen künftig wohl am besten, ausgepresste Orangenschalen oder Sägemehl also pflanzliche Abfälle, die zu nichts mehr zu gebrauchen sind, für die Polymer-Herstellung zu nutzen, meint Sommer. Die Kernherausforderung hier besteht allerdings darin, "diese Stoffe in ausreichender Menge und regelmäßig zu beschaffen", wie Prof. Sabine Flamme aus dem IWARU anmerkt.
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