Bauprodukte dürfen nicht zu komplex sein. Sonst besteht die Gefahr, dass sie nachlässig eingebaut und dadurch zum Risiko werden. Brandschutzexperte Rupert Ehrlenspiel, Leiter Brandprüfung und -forschung an der TU München, über Dämmen, Grenfell und die EN-Norm.
Die Erfahrung zeigt, dass nur ein kleiner Teil der Brände an Fassaden entstehen, an denen Dämmstoffe ja am häufigsten zum Einsatz kommen. Die meisten Brände entstehen in den Räumen. Wenn hier überhaupt eine Dämmung beteiligt ist, dann eine Innendämmung. Diese wenigen Fassadenbrände können gefährlich werden, wenn sie von außen in Räume eindringen, wenn also Fenster bersten und die Räume ausbrennen. Allerdings haben die Menschen das Haus zu diesem Zeitpunkt meist schon rechtzeitig über das Treppenhaus verlassen. Mein Eindruck ist, dass der Höhepunkt der Angst, der auch von negativen Medienberichten in den letzten Jahren ausging, weitgehend überwunden ist und das Thema wieder aus dem öffentlichen Interesse heraus rückt.
Unabhängig von der Diskussion, ob der eingesetzte Dämmstoff (*Anm. der Redaktion: Polyisocyanurat, PIR) überhaupt für den Brand verantwortlich zu machen ist, hätte er bei einem derartigen Hochhaus in Deutschland gar nicht verwendet werden dürfen. Denn die Chance der Feuerwehr, Menschen aus einem brennenden Gebäude zu retten ist umso geringer, je höher das Haus ist. Deshalb dürfen in Deutschland nach DIN 4102-1 noch nicht einmal schwerentflammbare Dämmstoffe (wie etwa EPS) bei Gebäuden eingesetzt werden, die über 22 Meter hoch sind. Dieser Brand in London mit den verheerenden Folgen ist also auf keinen Fall einem Dämmstoff anzulasten, sondern dem falschen Umgang mit ihm. Das ist in etwa so, als wenn Sie mit Ihrem Auto mit hundert Stundenkilometern durch die Fußgängerzone fahren. Das kann man nicht dem Auto anlasten.
EPS ist ein Kunststoff, der aus Erdöl gemacht ist – also Kohlenwasserstoffen, die brennbar sind. Mit Hilfe von Flammschutzmitteln ist es möglich, die Brennbarkeit zu verringern – im Fall von EPS sind das heute überwiegend polymere bromhaltige Produkte. Sie sorgen dafür, dass EPS nach DIN 4102-1 als schwerentflammbar klassifiziert wird. Diese Klassifizierung wurde bisher durch den sogenannten Brandschachttest belegt. Hier entzieht sich EPS der Flamme und es wird die verbleibende Länge des Testkörpers gemessen. Doch mit der Einführung der EN-Norm wird sich das Prüfverfahren ändern. Im SBI-Test, der für das EN-Prüfverfahren eingesetzt wird, wird im Unterschied zum Brandschachttest die Schmelze viel stärker mit einbezogen. Dies führt zu einer nicht direkten Vergleichbarkeit zwischen deutscher und europäischer Prüfung, und EPS wird zeigen müssen, welche europäische Klassifizierung bei welcher Dichte möglich ist.
In Deutschland wurden bisher die produzierten Produkte, die Brandschutzeigenschaften aufweisen sollten, von unabhängigen Instituten überwacht und zertifiziert. Damit konnte der Hersteller sein Produkt mit dem Ü-Kennzeichen versehen. Erst dann durfte es eingebaut werden. Im Rahmen dieser Überwachungen gab es auch wiederkehrende Brandprüfungen. Die fallen für die Baustoffe im europäischen System weitgehend weg. Dass wir in Deutschland ein derart hohes Qualitätsniveau haben, hängt auch damit zusammen, dass wir bisher diese Fremdüberwachung etabliert hatten. Fällt sie weg, ist die Priorität dieses Brandschutzaspektes in den produzierenden Unternehmen möglicherweise nicht mehr so hoch. Im Einzelfall gibt es inzwischen allerdings schon verschiedene Hersteller, die sich freiwillig fremdüberwachen lassen – etwa durch das Forschungsinstitut für Wärmeschutz (FIW). Darüber hinaus gibt es auch Selbstverpflichtungen einiger Dämmstoffhersteller, die ihre Produkte durch die Bundesfachabteilung Qualitätssicherung EPS-Hartschaum (BFA QS) zertifizieren lassen. Insgesamt ist es wichtig, dass die Industrie trotz der neuen europäischen Regeln ihr hohes Qualitätsniveau hält.
Eine solide Montage der Fassade und auch eines Wärmedämmverbundsystems (WDVS) ist für den Brandschutz sehr wichtig. In der Praxis wird nicht immer gut genug darauf geachtet. Dann ist die Putzschicht zu dünn und das Gewebe an der Fassade nicht richtig verputzt. Manchmal werden Fallrohre, Lampen und sogar Elektrokästen nicht separat (etwa durch Mineralwolle) gekapselt, sondern quasi in EPS "eingepackt". Hinzu kommen Beschädigungen an der Fassade, etwa dadurch, dass an der Garagenausfahrt ein Fahrzeug entlanggeschrammt ist. Derartige Schäden müssen dann sofort behoben werden, denn das WDVS ist dann nicht mehr ausreichend sicher.
Nehmen Sie den Fall von Vandalismus oder Brandstiftung. Theoretisch ist es möglich, die Putzschicht eines WDVS zu durchschlagen und genau dort mit einer größeren Brandquelle die Fassade anzuzünden. Am besten ist es, wenn Gebäude entsprechend "fehlerfreundlich" sind, dass Brandstiftung gar nicht erst möglich ist. Feuerschutztüren etwa sind durchaus störanfällig und empfindlich. Sie fallen nicht immer zuverlässig ins Schloss und man erlebt es immer wieder, dass sie aufgekeilt sind und offen stehen. Dann hilft die beste Feuerschutztüre nicht mehr.
Ja, die Produkte sind in Deutschland in aller Regel sehr gut. Von Seiten der Herstellung und Produktion besteht also kein Handlungsbedarf. Die Herausforderungen beginnen dann im Einbau. Da werden Bauprodukte falsch eingesetzt und genutzt – auch Wärmedämmverbundsysteme. An Feuerschutztüren werden Zugänge für Kartenlesegeräte angebracht und damit der Feuerwiderstand verringert. Im Bausektor herrscht ein Mangel an qualifizierten Fachkräften. Hinzu kommt, dass die Produkte immer komplizierter werden.
Nehmen Sie Heizungsanlagen, Wärmeversorgungsanlagen oder Wärmepumpen, die heute oft eingesetzt werden: Diese Anlagen sind meistens falsch eingestellt und brauchen mehr Energie als nötig, da die Installateure damit überfordert sind. Sie übernehmen die Standardeinstellung vom Werk und passen die Steuerung und Regelung nicht an das jeweilige Gebäude an. Dann wird letztlich doch mit Strom geheizt statt mit der Umgebungswärme. Der Einbau von Feuer- und Rauchschutztüren erfordert die Hinterfüllung der Zargen mit speziellen Schäumen oder Mineralwolle. Ansonsten wird die Schutzfunktion der Türen gemindert. Hinzu kommen Gefahrenstoffe, die in Gebäuden eigentlich nicht verwendet werden dürfen, und trotzdem zum Einsatz kommen – etwa Farben, die Flamm- oder Schimmelschutzmittel enthalten. Ein weiteres Thema ist der anlagentechnische Brandschutz, weswegen sich beispielsweise der Bau des Berliner Flughafens BER verzögert. Brandmeldeanlagen, Feuerschutztüren sowie Entrauchungs- und Lüftungsklappen sind nur einige der eingesetzten Komponenten für tausende Räume vor Ort. Sie werden auf IT-Ebene gesteuert. Wird Rauch detektiert, schließen sich automatisch die Feuerschutztüren und Lüftungsklappen, dafür öffnen sich Entrauchungsklappen. Diese Steuerung ist komplex. All das sind Gründe genug, mehr als bisher ein Augenmerk auf die Qualität zu legen.
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